Hans Joachim Teschner

 

 

 

 

Märchen,

Mythen,

Düvelskram

 

Tafel 11

Wie der Teufel von den Varelern geleimt wurde

Vor Zeiten lebte eine Hexe in Varel, die ihr Handwerk zu aller Zufriedenheit ausübte. Bis zu dem Zeitpunkt, als die IHK einen monatlichen Pflichtbeitrag von ihr verlangte und als Gegenleistung Kurse in Buchführung und Marketing anbot. Darüber war sie so erbost, daß sie ihren Hexenbesen in einen Balkon verzauberte, von dem aus sie die Passanten beschimpfte und bespuckte. Außerdem meldete sie ihr Gewerbe ab und bat ihre Nichte aus Büppel, den Stadtbezirk hexenmäßig zu übernehmen.

Die Nichte war ein flotter Feger und vom Tempowahn besessen. In jeder freien Minute schraubte sie an ihren Rennbesen, um mehr PS aus ihnen herauszukitzeln. Zum Antrittsbesuch in Varel schwang sie sich auf ihren tiefergelegten Turbobesen GT, sauste über das Streeker Moor, fuhr heulend in Varel ein, kriegte die Kurve von der Bismarckstraße in die Mühlenstraße nicht und knallte gegen die Mühle. Der Besenstil zerbrach, scheppernd fiel der Heckspoiler auf das Kopfsteinpflaster, und das Kabrioverdeck sprang auf und verklemmte sich. Just in diesem Augenblick öffnete der Himmel seine Pforten, und die herabstürzenden Wassermassen versauten die teuren Ledersitze auf ewig.

Das war zuviel! Wütend schleuderte die Bruchpilotin einen Fluch über die Stadt:

 

"Schepper schepper, nasses Wetter,

kaum, daß ich durch Varel bretter.

Dafür soll'n die Bürger blechen,

Spitze Stacheln soll'n sie stechen."

 

Der Fluch trat in Erfüllung. Fortan wurden die Vareler von Stichen und Stachelattacken heimgesucht. Wenn die Arbeiter im Sommer Torf aushoben, erlitten sie einen Sonnenstich und stachen sich dummdösig mit dem Spaten in den Fuß. Die Frauen, die im Garten nach Abwaschwasser stocherten, stießen in Wespennester und wurden von Wespenstichen gepiesackt. Schneider stachen sich mit der Nadel in den Finger, Schuster mit der Ahle in das Knie. Wenn die Fischer in See stachen, stach die See zurück: Angelhaken rissen Wunden, und Stachelrochen und Stichlinge waren die einzige Beute. Statt Grünkohl wuchs Stechginster, und die Steckrüben verwandelten sich in Stechrüben mit giftigen Stacheln. Die Skatbrüder heimsten keinen einzigen Stich mehr ein. Darüber stichelten die durchreisenden Ritter, und wenn diese der Hafer stach, stachen sie mit ihren Hellebarden auf die Müßiggänger ein. Viele Kinder verschieden nach dem Genuß von Stechäpfeln, und aus Gram darüber verpaßten ihre Mütter den Stichtag der Klassenlotterie. Kleiderschränke und ganze Holzhütten fielen dem Wurmstich zum Opfer. Einzig der Heimatdichter Georg Fuseler versuchte, wider den Stachel zu löcken, aber bevor er sein Anti-Stachel-Pamphlet aufsetzen konnte, stach ihn ein Räuber nieder, und Fuseler hinterließ nur die Überschrift: "Der Stechlin".

Kurz, es nahm des Stechens kein Ende.

In ihrer Not beschlossen die Vareler, den Teufel um Hilfe zu bitten. Sie bestiegen den Wasserturm und riefen ins Land: "Heh, Beelzebub, wir bieten dir 'nen coolen Tausch an. Wenn du die Stechplage auffrißt oder den Bockhorner Junkern an den Hals hängst, kannst du über unsere Seelen verfügen und mit Zwiebeln und Speckbohnen in der Bratpfanne rösten."

Was der Teufel nicht wußte: Die Vareler besaßen überhaupt keine Seelen! Den letzten und einzigen Missionar, der ihnen eine Seele andrehen wollte, hatten sie erschlagen und nach Rom versandt mit dem Vermerk: "Seele? Nein danke!"

 

Der Teufel ließ sich nicht lange bitten. Mit seinem dreifach gezackten Pferdefuß kickte er die Stechplage in das Amtsgericht, verwandelte sie in eine Mückenplage und verbannte sie in den Wald. Dann verlangte er seinen Lohn. Oh, wie sich die Vareler vor Lachen krümmten! "Ach, du alte Dumpfbacke", wieherten sie, "siehst du hier auch nur eine einzige Seele?" Als dem Teufel das ganze Ausmaß seiner Blamage klar wurde, wollte er sich schier erwürgen vor Schmach. Wir wir wissen, sind sowohl dem Teufel wie auch seinem Gegenspieler in dieser Hinsicht enge Grenzen gesetzt. Eigentlich handelt es sich um eine unüberwindliche Grenze, denn wo kämen wir hin, wenn der Teufel sich auslöschte? Nicht nur das Gleichgewicht der Kräfte wäre empfindlich gestört, nein, der Schöpfer könnte es ihm womöglich aus Langeweile gleichtun - und was dann? Lange grübelte der Teufel über das Problem nach, aber er kam zu keiner Lösung. Da übermannte ihn die Verzweiflung, und er buddelte sich auf einem freien Platz in die Erde ein, wo er die weitere Entwicklung abwarten wollte.

Damit könnte die Geschichte ihr gutes Ende gefunden haben. Leider aber zeitigte die Mückenplage im Wald unerfreuliche Folgen. Die Jungfrauen, die sich nach alter Sitte in die Büsche schlugen, um von oldenburgischen Rittern gejagt zu werden, wurden von den Mücken regelrecht wieder hinausgestochen, und die Ritter flüchteten entnervt nach Neuenburg. "Wie sollen wir jetzt eine gute Partie ergattern?" maulten die Jungfrauen. Trotzig lungerten sie in den Kneipen herum, zogen sich Bullenringe durch die Nase, färbten sich die Haare mit Kuhschiet und Froschlaich und gingen den Leuten mit Dummsprüchen auf den Geist. Die Ritter, die davon hörten, zeigten Varel endgültig die rote Karte.

Da pilgerten die Jungfrauen zum Schlafgrab des Teufels, um ihn zur Umkehr zu bewegen. "Süßmundiger Beelzebub", wimmerten sie, "mach alles wieder ungeschehen und beschere uns die Ritter zurück. " Aber der Teufel verharrte beleidigt in seiner Gruft. Daraufhin legten die Jungfrauen Geschenke auf die nämliche Stelle, um ihn zu erweichen: Zierknöpfe aus purem Holz, Bratkartoffeln mit Ei, einen Drei-Tage-Bart, gebrauchte Mieder, Haarlocken, einen Melkeimer voller Achselschweiß, steigende Aktienkurse, verführerische Schlafzimmerblicke usw., kurz alles, was einem Satansbraten das Herz aus der Hose springen läßt. Nichts verfing!

 

Zwei Jahrzehnte später war der Spuk zu Ende, denn die letzte Jungfrau war von einem Ostfriesen geheiratet oder verschleppt worden, was damals keinen Unterschied machte. Über der Schlafstatt des Teufels aber erhob sich ein Hügel aus verrottenden Bittgeschenken, die allmählich von einer Schicht Flugsand und Gras überwuchert wurden. 

Heutzutage erinnern sich nur noch wenige Ur-Vareler an die Schlafgruft des Teufels. Es ist der Hügel, der sich gleich neben der Weberei erhebt und heute als Rodelabfahrt für die Kinder dient. Man gut, daß sie nicht ahnen, was darunter schlummert!

 

 

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