Hans Joachim Teschner

 

 

Märchen,

Mythen,

Düvelskram

 

Ein Historiengemälde der Stadt Varel

am Jadebusen

mündlich überliefert

und getreulich aufgeschrieben

auf 14 ehernen Tafeln,

dargestellt und ausgeschmückt

 mit koloriertem Timbre und

ornamentreichem Balast

 

 

Tafel 1

Fokko Bomgard und sein Hammel

Als Varel noch ein eigenständiges Kirchspiel war und von Oldenburg unabhängig, litt es nicht nur unter den Streichen von Trollen und Elfen, sondern auch unter dem Zwist zweier Häuptlingssippen. Der Stamm der Hayos und der der Mennos piesackten sich, wo sie nur konnten. So hatte ‚Hayo der Ältere‘ kaum den Häuptlingsthron bestiegen, da vertrieb ihn ein Menno mit dem Hinweis, er sei der ‚noch Ältere‘. Diesen wiederum schubste ‚Hayo der Faule‘ aus dem Amt, der aber sofort von ‚Menno dem viel Fauleren‘ gestürzt wurde. Die Hayoisten putschten und setzten ‚Hayo den Dummen‘ auf den Thron. Rebellion war die Folge, und ein gewisser ‚Menno der Allerdümmste‘ beerbte den aus Amt und Würden gejagten Hayo.

So ging es Schlag auf Schlag, bis den Hayoisten ein genialer Coup glückte: Sie buddelten eine Moorleiche aus und präsentierten diese als Häuptling mit dem Titel: ‚Hayo der Tote und sogar schon ganz lange Tote‘. Dem hatte der Menno-Stamm viele Jahre nichts entgegenzusetzen. In diesem Zeitraum blühte das Kirchspiel wirtschaftlich auf, da der Regent aus naheliegenden Gründen keinen Blödsinn verzapfen konnte. Da wurde keine Kurtaxe erhoben und kein Seniorenpass verteilt; da wurden keine Bauern schurigelt und weder Prunkpaläste noch Spaßbäder errichtet, und die Jungfrauen konnten unbehelligt in den Wald ausstreunen, wo sie von oldenburgischen Rittern gekidnappt wurden – eine gute Partie damals!

Die Kehrseite der Medaille war die Langeweile, die sich alsbald ausbreitete. Kein Skandal, keine Schwarzarbeiteraffäre, nichts. Auf den Straßen gähnten sich die Menschen zum Gruß an oder schliefen im Stehen ein, und zum Feierabend lamentierten die Arbeiter: "Schade, dass das Fernsehen noch nicht erfunden ist. Solange müssen wir uns wohl gegenseitig anöden."

Lediglich das sonntägliche Hammelrennen nach dem Kirchgang sorgte für Abwechslung. Indes, das Spektakel verlor schnell an Interesse, da Fokko Bomgard aus Borgstede mit seinem Superhammel jedes Rennen für sich entschied. Dieser Hammel war eine Missgeburt mit fünf Beinen, zwei Schwänzen und einem Höcker. Fünf Beine liefen natürlich schneller als vier! Der Höcker wiederum verlieh dem Tier eine windschnittige Form, und seine Schwänze rotierten wie Propeller und trieben das Monstrum zusätzlich an. Einmal, am Traditionsrennen zu Ehren des legendären Häuptlings ‚Wubbo dem Verschwitzten‘ passierte es, dass der Superhammel die Kontrolle über die Strecke verlor, durch den Vareler Wald ölte, mit einem Wildschwein zusammenprallte und vor Schreck mit einem Riesensprung nach Oldenburg übersetzte, wo es durch die Kuppel des Staatstheaters krachte. Gleichzeitig knallte ein derart tumultöser Donnerschlag über die Dächer Varels, dass alle Fensterscheiben zersplitterten.

 

Der verdammte Hammel hatte doch tatsächlich die Schallmauer durchbrochen!

Sonst aber passierte nichts. Bis einmal eine Gauklertruppe in Varel einzog. Musikanten fidelten und flöteten, seltene Tiere wurden gezeigt, und dramatisch dreinguckende Turner führten Kunststücke vor. Der Direktor der Truppe, eine gewisser Rastello, kündigte Großes an: "Hier seht ihr eine Buckelkuh aus Afrikanien, dem Land zwischen Nil und Delta." Das Tier trug einen Höcker und spuckte Gesche Albers aufs linke Auge. Fokko Bomgard wurde sauer. "Erstens!" schrie er, "hat mein Hammel einen größeren Höcker, und zweitens spuckt niemand ungestraft meine Verlobte an." Daraufhin jagten die Zuschauer die afrikanische Buckelkuh in die Marsch.

Nun führten die Gaukler einen Handstand vor. Damit wären die Vareler zufrieden gewesen, wenn nicht der Amtmann Sibo Cornelius lauthals zu bedenken gab, dass in dieser Stellung das Ziegenmelken arg erschwert wenn nicht gar unmöglich sei. Das leuchtete den Gaffern ein, und sie murrten: "Uns deucht, der Handstand muss noch verbessert werden."

Dem Direktor Rastello schwante nichts Gutes, und deshalb zog er gleich seine Trumpfkarte: seinen Araberhengst. "Dieses Pferd ist schnell wie ein Blitz und unbesiegbar!" prahlte Rastello augenrollend. "Es hat alle Turniere gewonnen und ist mit Gold nicht aufzuwiegen." Großzügig versprach er demjenigen den Hengst, der diesen in einem Rennen besiegen würde. Na, das war ein gefundenes Fressen für die Vareler. Wir ahnen schon, wer sich zum Wettkampf stellte: Fokko und sein Superhammel. Wetten wurden abgeschlossen, eine La-o-la-Welle wurde einstudiert und die Rennstrecke abgesteckt. Sie verlief vom Schlossplatz durch winkelige Gassen bis in den Wald. Fokko, nervös geworden, bat eine Kräuterhexe um eine Zauberformel, mit der er dem Hammel noch schnellere Beine machen könne. "Du musst ihn tjunen", krächzte die Hexe, und sie rührte eine 1a-Tjun-Suppe aus Weißkohl, Saubohnen und Buttermilch an.

Fokko, in Unkenntnis des sog. Tjun-Vorgangs, strich erst die Hammelohren mit der Suppe voll, dann fütterte und stopfte er das Tier mit dem Rest. Als Folge des Tjunens fing der Magen des Tieres an zu grummeln und zu rumoren. Der Bauch schwoll an, die Augen ermatteten, und Fokko verlor allen Mut. “Wart’s nur ab”, kicherte die Hexe geheimnisvoll.

 

Am Sonntag nach der Mette stellten sich die Gegner zum Start auf: Rastello auf seinem Araberhengst, Fokko Bomgard auf seinem von Blähungen geschwächten Superhammel. Amtmann Cornelius gab den Startschuss, und die Jagd begann. Sofort ging Rastello in Führung. Die fünf Beine des Hammels trappelten zitterig hinterher, seine beiden Schwänze schlenkerten kraftlos und verhedderten sich. Das Rennen schien verloren. Da tat Fokko etwas, was er noch nie getan hatte: Er gab seinem Tier die Sporen! Der Hammel blökte gepeinigt auf, die Schwänze peitschten, die fünf Hufe rissen Grassoden aus, und mit einem Donnerknall entlud sich der überreife Darmwind. Vom Rückstoß angetrieben brannte die Missgeburt wie ein Feuerstrahl der Hölle durch die Gaffer, ratschte Bäume und Hütten nieder, begrub den Araberhengst unter sich, pfiff mit brennenden Schwänzen in den Vareler Wald und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Das Rennen war gewonnen und die Ehre der Vareler wieder hergestellt.

Just an diesem Tage endete auch die Herrschaft von Hayo dem Toten. Mit geübter Hand hatte Menno der Feuerteufel den Thron für sich freigeräumt.

Die Schneise aber, die der Superhammel gerissen hatte, wurde später bepflastert und mit Bäumen begrenzt. Warum sie den Namen Windallee bekommen hat, wird von den Ur-Varelern vornehm verschwiegen.

 

  Lesesaal