Hans Joachim Teschner

 

 

Kompendium des

Wissens

 

Band 2

 

 

 

Tee zubereiten

Der Blumengarten

Den Rollator schieben

Hart gekochte Eier

Das Öffnen einer Bierflasche

Der Rucksack

Den Hebel umlegen

Das Nahrungsergänzungsmittel

Das Telefonbuch

Den Kühlschrank enteisen

Tee zubereiten

Die Kunst des Teezubereitens wird oft unterschätzt. Es reicht nicht, kochendes Wasser auf Teeblätter zu gießen. Vielmehr steht am Anfang eine Frage, deren Beantwortung das nachfolgende Geschehen in eine eindeutige und nicht umkehrbare Richtung lenkt gleich einem reißenden Fluss, der denjenigen, der versehentlich hineingefallen ist  – oder der die Beantwortung der erwähnten Teefrage geleistet hat – daran hindert, gegen den Strom zu schwimmen, da die Fließgeschwindigkeit eine gegenläufige Bewegung nahezu zunichte macht, es sei denn, der in den Strudeln Treibende ist ein durchtrainierter Kampfschwimmer, der sich auf Wechselfälle des Lebens dieser Art jahrelang vorbereitet hat, der jeden Tag zig Kilometer  durch Wogen und Wellen seine Bahnen gezogen hat und dessen Lunge sich auf ein Fassungsvermögen geweitet hat, welches den Schwimmer und hohnlachenden Gegendenstromkämpfer sogar ermöglicht, in den Höhen des Himalayas ohne Sauerstoffgerät zu überleben, nur kraft seines Vermögens, das vorsorglich in der Lunge eingelagerte Luftvolumen in Dauern von Tagen und Nächten anzuhalten.

Wir können es dahingestellt sein lassen, ob eine Lebensführung, die ausschließlich darauf ausgerichtet ist, den Stromschnellen wie auch der dünnen Luft Paroli zu bieten, geeignet ist, uns das gewissenhafte Procedere des Teezubereitens näher zu bringen. Denn bis jetzt ist die Anfangsfrage nicht beantwortet.

Wir stehen praktisch noch am Scheideweg.

 

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Der Blumengarten

Wird zumeist mit einem Rasen bestückt, an dessen Rändern einige Beete angelegt werden. Wenn kein Rasen vorhanden ist, wird der Außenstehende daraus schließen, dass das Grundstück zu klein für einen Rasen ist. Tatsächlich könnte sich das Grundstück aber auch sehr weiträumig hinziehen, genauer gesagt, in die Länge ziehen, und dann ist natürlich auf dem schmalen Mittelstreifen kein Platz mehr für einen Rasen, der diesen Namen verdient. Oder der Eigentümer hat sich überlegt: Was soll ich mit einem Rasen, der muss ja ständig gemäht werden und wohin dann mit dem Abfall? Die Gemeinde holt den Rasenschnitt nur alle 4 Wochen ab, da kann man schon mal ins Grübeln kommen, wie man den Haufen entsorgen soll ohne den Umweltbestimmungen zuwider zu laufen. Manche der Nachbarn stopfen den Schnitt in blaue Säcke und stellen diese einfach an den Straßenrand. Sie hoffen, dass irgendwer die Säcke interessant findet und sie des Nachts heimlich in den Kofferraum seines Geländewagens lädt. Man muss schon sehr naiv sein. Also wer dies ernsthaft annimmt, der muss schon sehr naiv sein.

 

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Den Rollator schieben

Welch Jammerbild auf unseren Gehwegen: Gebeugte Graumenschen zockeln hinter Rollatoren her, und die Angst, dass die Griffe ihren Händen entgleiten könnten, steht ihnen ins Gesicht eingemeißelt wie die vier amerikanischen Senatoren-Büsten am Mount Rushmore. Dabei könnte die kleine Spritztour so leicht, ja geradezu luftig eingefädelt und durchgezogen werden (wie der Faden durch ein Nadelöhr; wie die Flugbahn eines Seeadlers durch Wind und Gischt; wie das spitzfüßige Anschleichen eines Privatdetektivs an ein verborgenes Liebesnest zum Aufdecken schweren Ehebruchs; wie das Schließen der Türen eines Geländewagens mit Hilfe einer im Zündschlüssel integrierten Fernbedienung, die sogar alle 5 Türen auf einen Schlag zu verriegeln keine Mühe in Anspruch nimmt; wie das Schaukeln einer Sänfte des 18. oder sogar noch früheren Jahrhunderts, welche von vier Sänftenträgern über die unwirtlichen Berghänge Tibets oder ähnlicher Unwirtlichkeitsgegenden oder durch eiskalte Gebirgsbäche oder aber auch durch den Schlamm und den stinkenden Abfall der bevölkerungsreichen Slums der Städte in Ballungsgebieten der Kolonialzeit  gehoben, ja förmlich weich hinüberschwebend transferiert werden, um dem reisenden Insassen – der als Eigentümer zu Recht auf Bequemlichkeit pochen kann, hat er doch viele Taler bzw. Goldstücke für den Gesamttransport aufbringen müssen und springen lassen – ein dem Aufwand angemessenes Reiseerlebnis zu garantieren, ansonsten er die Peitsche in Stellung zu nehmen genötigt sein müsste).

Nein, stattdessen wird der Rollator mit grundfalscher Technik angeschoben, der Gebrauchsanweisung zum Trotz. Ein Jammer ohnegleichen.

 

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Hart gekochte Eier

Zu Ostern gebietet es der Brauch, hart gekochte Eier zu färben und dieses Gut in das hohe Gras oder hinter dichtes Gebüsch zu deponieren, damit das Kindervolk eine Beschäftigung findet, nämlich das Suchen des Versteckes, die es von verderbten Gewohnheiten ablenkt als da sind Fernsehgucken, Internetgucken oder Smartphonegucken. Manchem Zeitgenossen misslingt das an sich moralisch unbedenkliche Hartkochen der Eier, und wir müssen uns dringlich fragen, ob durch dass Misslingen des Vorhabens des Hartkochens der Eier nicht ein irreparabler Schaden in den Kinderherzen angerichtet wird. Insofern sei darauf hingewiesen, dass zum Hartkochen der Eier nicht einfach nur der gute Wille ausreicht. Nein, vielmehr gehört fachliche Durchdringung des Gesamtproblems dazu unter Einbeziehung pädagogischer Rettungsmaßnahmen bei eventuellem Misslingen des Hartkochens der Eier und anschließender Traumatisierung des Kindervolkes.

Wer sich diesen Anforderungen nicht gewachsen zeigt, sollte die Eier lieber weich kochen.

 

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Das Öffnen einer Bierflasche

Es gibt einfache Handhabungen, die bei unsachgemäßer Abwicklung der Einzelschritte zur existentiellen Bedrängnis auswachsen. So kann das Öffnen einer Bierflasche zum Auslöser von Gewalt und purer Mordlust entgleisen.

Wie das?

Entscheidend ist die Phase der Vorbereitung im Verhältnis zur Ausführung. Der sich selbst genügende Einfaltspinsel mag sich ja mit einem handelsüblichen Flaschenöffner bescheiden, welchen er in grober Manier an den Flaschenhals setzt, um damit den Kronenkorken aufzuhebeln. Und auch der gebildete Mitteleuropäer dürfte – so er sich unbeobachtet fühlt – das Gerät keineswegs ohne Erfolg betätigen. Später aber, wir wollen hier keinen genauen Zeitpunkt angeben, gehen die Pferde durch! Will heißen, der Suff zeigt seine düstere Seite: Schlägereien, wüste Beschimpfungen, Urinieren aus offener Hose, kaum verhüllte Morddrohungen bis hin zum schludrig ausgeführten Versuch des Totstechens mit dem zufällig daherliegenden Küchenmesser. Nicht selten fließt Blut. Und das nur, weil das Öffnen der Bierflasche in dieser späten Phase zum unüberwindlichen Akt aufschäumt und die Zitterfinger im entscheidenden Moment versagen. Mit ein wenig Vorbereitung hätte die Eskalation vermieden werden können.

 

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Der Rucksack

Der Inhalt eines Rucksacks bleibt den Augen des Rucksackbetrachters zumeist verborgen. Selten erblickt man einen durchsichtigen Rucksack. Das Material, aus dem ein durchsichtiger Rucksack hergestellt wird, scheint noch nicht die Tragfähigkeit und Reißfestigkeit im Vergleich zu herkömmlichen Gewebearten aufzuweisen. Vielleicht geht einmal der Trend zum durchsichtigen Rucksack. Bis dahin tragen die Rucksackbesitzer Modelle mit sich herum, deren Inhalt sich auch nicht durch eventuelle Ausbeulungen der primären Rucksackform erschließt. Natürlich weckt dieser Umstand die Neugier der Passanten. Wilde Theorien mögen sich da bilden! Es soll Rucksäcke gegeben haben, in denen schon Schweinsköpfe befördert wurden, ganz abgesehen vom verdeckten Transport einer Selbstmordbombe zum Ziel des Bombenanschlags, dem Hauptbahnhof. In Ländern mit hohem Touristenanteil werden Rucksäcke – unbemerkt vom Träger – mit Hilfe einer Rasierklinge oder eines Skalpells von hinten aufgeschlitzt. Wenn der Urlauber schließlich in einer Herberge oder einem drittklassigen Hotel eincheckt, ist die Überraschung groß.

 

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Den Hebel umlegen

Einhändig, beidhändig oder sogar mit der Kraft mehrerer zupackender Individuen: Das Hebelumlegen erfordert in jedem Fall eine stupende Technik, die erlernt sein will. Leider müssen wir konstatieren, dass diese überaus knifflige Handhabung zunehmend in Vergessenheit gerät. Waren noch vor Jahrzehnten fast alle Geräte mit Hebeln der unterschiedlichsten Form, Kombination, Schwere und Materialbeschaffenheit ausgestattet, zu deren Bedienung umfangreiche Fachkenntnisse vorausgesetzt wurden – ansonsten hätten ja jeder Bruder Lustig sein zotiges Schalten und Walten austoben können – so verdrängten fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit unscheinbare Taster und Knöpfe die großartige Werkkunst der Hebelei. Welch Verlust, welch Verschüttung unseres Erbes! Während das Hebelumlegen mit mentaler Kontrolle einherging, drückt die heutige Jugend sinnentleert ihre Fettfinger auf buntschillernden Knöpfen oder Plastikfolien herum in der Erwartung, es werde schon irgendetwas passieren, was die Öde in ihrem ansonsten überflüssigen Leben ein wenig mildern möge. Welch strahlende Lebenskraft ging dagegen von den Hebeln aus! Stämmig boten sie Widerstand, der gebrochen werden  musste, und wenn schließlich der Hebel umgelegt war, konnte man stolz von sich behaupten, einen Meilenstein in der persönlichen Charakterentwicklung aus dem Weg geräumt zu haben.

 

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Das Nahrungsergänzungsmittel

Wie viele Menschen glauben noch heute, dass es reicht, sich einfach so zu ernähren. Der Fortbestand des physischen Ich, so argumentieren sie, sei damit gesichert. Ein Irrtum, der die Nahrungsergänzungsmittelproduzenten nachgerade verzweifeln lässt ob der Einfalt und der wissenschaftlichen Unbedarftheit. Wollen alle diese Armseligen, so fragen sie sich auf Kongressen und Fachtagungen, wirklich nur fortwährend dahinleben, bis schließlich der Sensenmann im Türrahmen steht, bis das Glöcklein der Vergänglichkeit seinen Klöppel schwingt? Eine solch lebensverlotternde Einstellung können die Nahrungsergänzungsmittelproduzenten nicht gutheißen. Die Nahrungsergänzungsmittel gelten – und das verrät ja der Name –  als Ergänzung für die vielfach kolportierte, aber, wie wir uns eingestehen müssen, fälschlich deklarierte Naturnahrungsaufnahme als hinreichendes Komplettpaket, – man könnte hier von Voll- und Ganznahrung sprechen – deren Hauptproblem freilich darin besteht, dass die angeblich alle Wünsche befriedigende Rundumernährung sich in ihrem Volumen unverhofft als ergänzungsbedürftig zu erkennen gibt, denn die Idee zu dieser Bedürftigkeit und ihrer Lösung entspringt nicht etwa den Hirngespinsten eines halluzinierenden Asketen, der sich in den Wahn eines allgemeinen Nahrungsmangels hineinhungert, sondern aus dem genialisch aufblitzenden Gedankengang, dass jede neue Idee nur aus einem echten, einem realen Hintergrund erwachsen kann, und das meint in diesem Fall, aus einem Mangel an der angeblich zureichenden Nahrungskomplettaufnahme, eine Mangelidee, die sich zunächst rudimentär in hie und da zögerlich knospenden Vorstellungen einer Unvollkommenheit äußert, welche aber allmählich zu einem stattlichen Strauß einer unangreifbaren Theorie aufblüht, deren Kulmination sich in den Nahrungsergänzungsmittelproduktionsstätten materialisiert mit den dort hergestellten Produkten, die die Lösung des Problems, nämlich die Bereitstellung von Nahrungsergänzungsmitteln zum Zwecke der Endsättigung des Menschen diesem an die Hand geben, ganz abgesehen von der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Wahrscheinlich sind die Nahrungsergänzungsmittel sogar wundheilend. Oder seligmachend. Oder die Eintrittskarte in das Reich der Ewigkeit. Freilich, darüber können wir nur Vermutungen anstellen, und da hier kein Platz für Spekulation und Kaffeesatz ist, brechen wir ab und wenden uns einem anderen Problem zu, dem des Sitzens auf kalten Steinen. Leider gehen zu diesem Thema die Meinungen derart weit auseinander, dass derzeit eine abschließende Klärung nicht möglich ist.

 

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Das Telefonbuch

Ein Kalauer besagt, dass man mit dem Telefonbuch einen Menschen totschlagen könne ohne auf weitere Hilfsmittel zurückgreifen zu müssen. Ersatzweise könne auch das Branchenbuch dem Zwecke des Totschlagens dienen, wobei man bedenken muss, dass das Branchenbuch in der Regel dünner und leichter ist als das Telefonbuch und deshalb ein Mehraufwand an Kraft vonnöten ist, um das in die engere Wahl gezogene Opfer niederzustrecken. Zudem könnte sich die gelbe Farbe des Branchenbuches als Fallstrick erweisen, da das Opfer durch die grelle Gelbheit des Buches vorgewarnt sein könnte. Zu sehr erinnert das knallige Kolorit an die Absperrbänder der Kriminalpolizei, auch an die Westen der Autobahnreparaturarbeiter oder an die leuchtenden Streifen auf den Notfallrettungswagen. Obwohl in diesen Fällen eher das Orange dominiert. Unser Opfer aber ist dennoch gewarnt, denn der essenzielle Unterschied der Warnqualität von Gelb im Vergleich zu Orange will ihm nicht einleuchten, so sehr er auch darüber grübeln mag. Die Zeit zum Grübeln freilich ist knapp bemessen, da das Branchenbuch bereits in Schwung gebracht und auf dem Weg ist. Wie es der Teufel will, zieht der zu Erschlagende seinen Kopf ein, und das Branchenbuch verfehlt das Ziel. Man kann von Glück reden, wenn es wenigstens sehr nahe am Kopf vorbeisaust und dabei ein Ohr abreißt.

 

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Den Kühlschrank enteisen

Alle Jubeljahre muss der Kühlschrank enteist werden, spätestens aber, wenn die Dicke der Eisschicht das Zuladen von Kühlschrankgütern nicht mehr zulässt. Es gilt, die gekühlten Bestandteile des Schrankraumes auszulagern, bevor man den Strom abschaltet. Wer will schon am Abend ein warmes Bier aus dem Getränkefach ziehen. Gleichwohl kann nicht verhindert werden, dass sich die ersatzweise auf dem Fensterbrett deponierten Bierflaschen unter der Sonneneinstrahlung erhitzen. Nein, das Bier muss erstmal wieder in den Kühlschrank.

Ein weiteres Problem stellt sich dem Kühlschrankenteiser beim Entsorgen der Cervelatwurst, die seit dem letzten Enteisen hinter der Tupperdose ein Jammerdasein geführt hat, denn der sich nach allen Seiten aufblähende Behälter, in dem ein Pfund Sauerkraut gärt, hat es vermocht, die Existenz der Cervelatwurst zu verdecken, so dass die in Vergessenheit geratene Wurst allmählich von einem weißen Schimmelgewebe überwuchert wurde und in dieser ungefügen Gestalt, Textur und Farbe mit dem Eispanzer an den Hinterwänden des Kühlschrankes zu einer Einheit verschmolz. Erst nachdem die Tupperdose aus dem Eise gemeißelt wird, tritt das ganze Ausmaß des nahezu unlösbaren Cervelatwurstproblems zutage. Denn man weiß aus Erfahrung, dass beim Herausschälen der Cervelatwurst aus dem Schimmelkokon ein Geruch hervorkehrt, der die Euphorie des Enteisens zunichte macht und das Gesundheitsamt Gewehr beim Fuß stehen lässt.

Eine noch größere Kalamität bereitet das unvermeidbare gleichzeitige Enteisen des Gefrierfaches, welches im Kühlschrank integriert ist. Hier lagern eingefrorene Lebensmittel wie Pommes, Fisch, Bratwürste, Ouzo, auch schon mal eine Obsttorte. Alles muss übergangsweise zum Nachbarn transferiert werden, doch siehe da, die Gefriertruhe des Nachbarn ist vollständig gefüllt mit einem halben Schwein. Der Nachbar auf der anderen Straßenseite behauptet, er habe seine Truhe bis oben hin mit dem Elch angereichert, den er im letzten Urlaub in Schweden geschossen habe. Der weit entfernt wohnende Nachbar am Ende der Straße sagt, seine Truhe sei gestohlen worden. Der noch weiter entfernte Nachbar in der Parallelstraße sagt, er besitze keine Gefriertruhe. Und der Nachbar dieses Nachbarn sagt, er kenne jemanden mit einer Gefriertruhe, aber der Name wolle ihm nicht einfallen. Niemand will das gefrorene Stückgut übernehmen. Und so vergeht wieder ein Jahr, ohne dass der Kühlschrank enteist werden konnte.

 

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Pflasterarbeiten

Zuhause will der Mensch eine saubere Einfahrt erblicken, insbesondere, wenn er müde von der Arbeit heimkehrt. Er will nicht durch Staub waten, mit dem rechten Fuß in einem Loch steckenbleiben oder Steinchen in seiner Sandale vermuten, wenn ihn da was piesackt. Ein möglicher Ausweg wäre die Pflasterung der Einfahrt mit Ziegelsteinen. Alternativ können es auch Formsteine aus Beton sein, die so aussehen, als wären sie aus einem Gebirge herausgebrochen, ein Trend, der das Motto ‚Zurück-zur-Natur‘ im Schilde führt. Nur muss der Mensch beachten, dass es zur zeitraubenden Kniffelarbeit ausarten kann, die asymmetrischen Steine Naht an Naht zu verlegen. Schnell klafft ein Loch in der Gesamtpflasterung, andere Einzelstücke müssen ausgesucht und auf ihre Eignung prüfend angelegt werden, der weitere Anschluss mit passgenauen Steinen muss vorausschauend projektiert werden, und schon ist der Abend verstrichen, die Dunkelheit bricht herein, und eine Fortsetzung der Pflasterarbeiten könnte höchstens bei Flutlicht vonstatten gehen. Am nächsten Morgen klingelt der Nachbar an der Tür und macht geltend, dass der am Vortag verlegte Pflasterabschnitt wieder aufgenommen werden muss, da versäumt wurde, das Sandbett zu verdichten, so dass als Resultat der abgeleisteten Pflasterarbeit ein „Schief und Krumm“ zu erwarten sei, welches den vorhergehenden Zustand noch um eine „mehrfache Potenz“ übertreffen würde, da sei der „Deibel“ vor. Er als Nachbar könne eine an seinem Anwesen grenzende verschandelte „Steinwüstenei“ nicht dulden, dies würde den Verkaufswert praktisch des gesamten Straßenzugs mindern. Mit der Pflasterung habe der Mensch niemandem einen Gefallen getan. Warum der Pflasterwütige nicht einen schönen Asphalt wie alle anderen habe aufbringen lassen, das frage er, der Nachbar, sich kopfschüttelnd und wende sich befremdet ab.

  

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Eine Versicherung abschließen

Hier geht es um die Minimierung von Risiken, die sich im alltäglichen Gebrauch von Auto, Gartenwerkzeug und Haushund einstellen. Man denke nur an einen Zusammenstoß zwischen dem Auto und dem Hund, ein geradezu doppelter Versicherungsvorfall, da beide, Auto und Hund, unabhängig voneinander mit einer Versicherungspolice auftrumpfen können, so dass niemandem – wie immer man es drehen und wenden würde – ein finanzieller Nachteil zugefügt werden könnte. Fast möchte man von einer Überversicherung sprechen, denn schon allein die Autoversicherung würde ja den Gesamtschaden decken. Der eingezahlte Jahresbeitrag für den Hund wäre praktisch für die Katz. In diesem Fall erwächst eine unvorteilhafte Versicherungsüberdeckung durch zwei sich in die Quere kommende Policen. Man sollte also, wenn man eine Versicherung abzuschließen sich bemüßigt fühlt, der Frage nachgehen, ob man nicht lieber auf eine der beiden Versicherungen verzichtet und sich stattdessen einen größeren Wagen leistet. Oder einen größeren Hund.

 

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Ein nichtiger Anlass

Jeden Tag passiert es, irgendwo auf unserer Erde, und das Jammern und Sich-an-den-Kopf-fassen wegen der Unachtsamkeit oder vielleicht auch nur Schusseligkeit mag noch als das geringste Übel angesehen werden. Was passiert ist? Wir haben den Schlüssel im Türschloss stecken lassen.

Gemach, gemach, die Tür ist ja nicht zugeschnappt, sondern steht weit offen, sperrangelweit sogar. Wir aber stemmen eine schwere Holzkiste hoch, vermutlich randvoll mit Büchern beladen oder mit dem 24-teiligen Porzellangeschirr oder mit den antiken holländischen Kacheln. Diese Kiste muss durch die Tür in die Wohnung geschafft werden. Oder auch umgekehrt: von der Wohnung aus ins Freie. Jedenfalls müssen wir, nunmehr schwer keuchend, die Kiste durch die geöffnete Tür transportieren. Und da geschieht es! Das Malheur. Die Kiste schrappt an der Tür entlang, weil wir zu nahe daran vorbei wollten. Der Übermut Strafe! Und das ist noch nicht alles. Die Kiste schrappt weiter und nähert sich der Stelle, an der sich das Unglück zu seinem unseligen Höhepunkt aufschwingt. Hier bzw. dort bzw. da ragt der Schlüssel trotzig aus dem Schloss, stellt sich in den Weg und unterbricht die rasante Fahrt. Ein kurzer Ruck geht durch die Bewegung, dann schrammt die Kiste weiter, in die Zarge, nimmt wieder Tempo auf, gleitet an der Tapete entlang und stoppt erst an der Garderobe, die dem furiosen Spektakel standhaft Paroli bietet.    

Das ganze Ausmaß des Unglücks aber erschließt sich uns erst beim Blick zurück auf die malträtierte Tür: Der Schlüssel ist weg! Abgebrochen, das Reststück unzugänglich im Schlosszylinder verklemmt. Natürlich ist das bedauerlich, andererseits aber ein viel zu nichtiger Anlass, um gleich in den Sack zu hauen.

 

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Die Wissenslücke

Mit der Wissenslücke verhält es sich – auf den ersten Anschein – wie mit der fehlenden Zutat zu einem schmackhaften Gericht. Hie eine geistige Absenz, dort ein Fadheitserlebnis, bei dem die Geschmacksnerven Alarm schlagen, und unverzüglich wird ein Verfahren in Gang gesetzt, das den Ausgleich aus der Disharmonie der Aromen herbeiführt. Mit Hilfe von sorgsam durchgespeichelten Probehäppchen und der Analyse der Zubereitungsstoffe und-zugaben finden wir heraus, was dem Saufraß an Geschmacksanteilen abgeht, wo also der Mangel seine Fußspuren hinterlassen hat. Oft genug ist es nur eine Prise Salz, die den erwünschten Effekt in Bezug auf Schmackhaftigkeit und Gaumenkitzel zu seinem Recht verhilft.

Mit der Wissenslücke haben wir – im Vergleich dazu – die Arschkarte gezogen. Denn für das Aufspüren der Lücke müssen wir ausgerechnet unseren Denkapparat mit seiner ihm explizit zugeschriebenen Wissenslücke einsetzen, um die Fehlstelle des Wissens zu finden und zu analysieren. Wie aber wollen wir mit einer Lücke unseres Wissens die Wissenslücke, die ja dieselbe an sich ist, reparieren? Eher verstärken wir noch die Lücke durch die nochmalige Anwendung ihres eigenen Wesens, nämlich der Lückenhaftigkeit. Ein Teufelskreis! Die Wissenslücke lässt sich per Definition niemals beheben.

 

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Die Traumdeutung 1

Die Traumdeutung geht auf Sigmund Freud zurück. Davor deuteten die Menschen ihre Träume auch, aber anders. Sie operierten noch nicht mit dem Unter- bzw. Unbewussten, von dem bis heute niemand weiß, was das eigentlich ist. Zusätzlich kennt man das Problem der stets wiederkehrenden Träume, die viele Zeitgenossen unabhängig voneinander erleben. Wilde Spekulationen schossen darüber ins Kraut. Unterdrückte archaische Triebe würden unseren wehrlosen Schlummer ausnutzen, um zu erwachen und aufzuheulen wie entfesselte Bestien, würden in diesem unseren obskuren Unterbewusstsein rumoren und die ins Hinterstübchen verdrängten Probleme (Komplexe der grauenhaftesten Sorte) gleich mit aufrühren, welche nunmehr der Lösung durch den Psychologen harren, der kraft seiner einzigartigen Fähigkeiten das Grundübel aus dem Traum schält und in bare Münze umwandelt, denn für lau gibt es keine Traumwäsche.

Als Paradebeispiel für Therapiebedarf und üppiges Salär dient der Traum, bei dem der Träumende glaubt, er falle in die Tiefe. Das ist Quatsch, denn der Träumende liegt in seinem Bett und kann gar nicht fallen, es sei denn, er dreht sich so weit zur Seite, dass er über den Bettrand rutscht und auf den Vorleger plumpst. Dann ist aber gut. Weiter wird nicht gefallen, sofern man das kleine Missgeschick überhaupt Fall nennen darf. Überhaupt bricht an diesem Punkt der Traum ab, notgedrungen, denn der Träumende ist jetzt aufgewacht und wundert sich, was für einen Blödsinn er wieder geträumt hat.

Das gleiche gilt für eine andere Sorte unangenehmer Träume: Man träumt, man laufe nackt durch die Straße. Spätestens nach dem Erwachen wird klar, dass wieder alles Blödsinn war, denn schließlich liegt man ja im Nachthemd unter der Bettdecke.

Es wird sogar kolportiert, dass alle Träume in Wirklichkeit Wunschträume seien. Wer sich unbedingt wünscht, in die Tiefe zu fallen, um sich das Genick zu brechen, oder nackt durch die Straßen zu laufen, um als Sittenstrolch eingebuchtet zu werden, mag ja gerne den Traumpsychologen aufsuchen, damit dieser ihm seine Wünsche erfüllen hilft.

Alle anderen können unbesorgt auf die Traumdeutung verzichten.

 

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Die Traumdeutung 2

Man kann zu der Traumdeutung stehen, wie man will (s. Traumdeutung 1), auf ein Problem kennt die Traumdeutung bis heute keine Antwort: Was ist, wenn der Träumer träumt, er befinde sich in einem Traum (der wiederum einen Traum zum Inhalt hat)? Welcher dieser Träume muss als erstes gedeutet werden? Muss die Deutung des Untertraumes in die Deutung des Obertraumes einbezogen werden? Was ist, wenn der Träumer selbst die Deutung des Untertraumes träumt und in der Fortsetzung seines Traumes nun anfängt, auch den Obertraum träumerisch selbst zu deuten?

Für den Fall, dass der Träumer glaubt zu erwachen: Woher weiß er, ob er nicht doch noch träumt bzw. erwacht ist in eine Wirklichkeit, die möglichweise nur träumerisch vorgetäuscht wird? Usw. usw.

Umgedreht: Weiß der Traumdeuterpsychologe, ob er nicht selbst gerade träumt und einen Kollegen zu Hilfe rufen muss, um den Sachverhalt wie auch sein eigenes unterbewusstes Problem zu lösen?

Ein logisch nachvollziehbarer Ausweg aus diesem Spiegelkabinett des Unterbewussten ist nicht in Sicht, aber die übliche praktische Handhabung geht einfach: Wir tun so, als lebten wir gerade in der Wirklichkeit und treffen mit der Mehrheit der auch so Tuenden eine Übereinkunft, wer was wann und wo richtig lebt und wer was wann und wo träumt. Basta. Und der ewig zweifelnde Meckerer kriegt einen dicken Stein an den Kopp. Oder er wird eingeliefert.

 

 

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Den falschen Eindruck erwecken

Nehmen wir an, zwei Damen begegnen sich auf der Promenade. Schon aus der Ferne nehmen sie von der jeweils anderen Dame Einzelheiten war, die sie zu dem Entschluss kommen lassen, auf keinen Fall mit ihr ein Gespräch anzuzetteln, nicht einmal einen Gruß zu entbieten. Schweigend gehen sie aneinander vorbei. Die Handtaschen sind vorsorglich unter den Arm geklemmt. Nicht zu Unrecht nimmt der unbeteiligte Zuschauer dieses Missvergnügens an, das die eine Dame auf die jeweils andere Dame einen falschen Eindruck erweckt hat. Worin die Falschheit des Eindruckes bestand, lässt sich durch die Analyse von Gangart und –geschwindigkeit, Kleidungsstil und den vielen Merkmalen, die eine Persönlichkeit auszeichnet, für einen Außenstehenden nur unzureichend ermitteln. Insofern bleibt nur zu hoffen, dass das Entstehen eines falschen Eindruckes bei der nächsten Begegnung der Damen mit jeweils anderen Damen nicht erneut seinen fatalen Lauf nimmt und zu der beschriebenen Eskalation der Nichtbeachtung führt. 

 

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Flämisch

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Einen Streit schlichten

Hierbei betreten wir ein vermintes Feld. Ist der Streit erst einmal ausgebrochen, sollte der unbeteiligte Dritte schleunigst das Weite suchen, denn zu diesem Zeitpunkt ist es meistens zu spät, den Streit schlichten zu wollen. Vielmehr muss der Dritte befürchten, dass der Streit eskaliert und auf ihn, den Unbeteiligten und insgesamt Unschuldigen übergreift. Körperlich ausgeführte Argumente und mit gleicher Kelle vorgetragene Indoktrinationen erscheinen nicht mehr ausgeschlossen, und im Vorgriff darauf sollte der unbeteiligte Dritte bei den ersten Anzeichen eines sich anbahnenden Streits einen dicken Stein vom Boden aufheben und ihn einem der Streithähne kräftig auf den Kopf hauen. Natürlich bleibt hierbei die Frage unbeantwortet, ob der übriggebliebene Streithahn sich damit zufrieden geben wird. Durch den abrupten Wegfall seines Gegners muss er die sich auftuende Vakanz als unersprießlich empfinden, als blinden Fleck in seiner bis dahin geordneten Agenda. Mit dem eingeschränkten Spielraum seiner Selbstverwirklichung kann er sich auf die Dauer nicht abfinden, und als Ersatz mag er sich gedrängt sehen, den unbeteiligten Dritten wohlwollend in Augenschein zu nehmen und nun diesem seine Überzeugungen in gewohnter Weise zukommen zu lassen.

Streitschlichtung erst bringt die Lawine ins Rollen.

 

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Der Ratgeber und die Problempyramide

Der Ratgeber steht vor der scheinbar überschaubaren Aufgabe, zu einen Problemfall eine Lösung anzubieten. Freilich, nur zu leicht gerät er dabei in eine Erklärungsfalle, die in den einschlägigen Fachblättern als sog. Problempyramide mehrfach beschrieben wurde.

Der Vorgang im Einzelnen:

Der Ratgeber wird mit einem Problem konfrontiert und um eine Lösung gebeten.

Schon hier, am Anfang, muss sich der Ratgeber auf eine schier unendlich auswachsende Mühe einrichten, denn die Lösung des Problems muss verschoben werden, weil ein neues Problem aufgetaucht ist: Es ist das Problem, wie die Lösung des Urproblems zu bewerkstelligen sei. Der Ratgeber steht somit vor dem Problem der Lösung des Problems. Es hilft nichts, zunächst muss für dieses neue Problem eine Lösung gesucht werden, bevor die bereits angezeigten Schritte eingeleitet werden können. Selbst der Außenstehende, dem das Ratgeben  nicht in die Wiege gelegt wurde, kann ermessen, in welch einem Teufelskreis der Ratgeber gefangen ist, ein Kreis, der sich mit jeder Drehung vergrößert. Der Ratgeber steckt mit beiden Füßen in der Problempyramide, und eine endgültige Abwicklung des Verfahrens wird mit jeder Stufe, die er zu erklimmen glaubt , unwahrscheinlicher.

 

Die Problempyramide

Problem

Lösung des Problems

Problem der Lösung des Problems

Lösung des Problems der Lösung des Problems

Problem der Lösung des Problems der Lösung des Problems

Lösung des Problems der Lösung des Problems der Lösung des Problems

Problem der … (usw.)

 

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Das Füsilierpfeif'

Gilt als verschollen. Seine Verwendung beschreibt ein Pamphlet aus dem Nachlass des Fürsten von Betzenhausen zu Frankfurt a. M. (1784), in dem es heisst, das Füsilierpfeif' diene der Kaleschierung unbeweibter Gesellen, die nächtens durch die Gassen zögen und unziemliche Verse von sich abließen. Das Pfeif' an sich sei unhörbar, würde aber die umherwildernden Hunde aufbringen, die man dann auf die Unbeweibten zu hetzen wisse. Bis auf den heutigen Tag wurde kein Exemplar des Füsilierpfeif' gefunden. Der Grantologe Prof. Dr. Groll schlug vor, nicht unter das Pfeif' zu suchen, sondern unter die Pfeif'. Er wurde ausgelacht. Warum eigentlich?

 

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Pflasterarbeiten

Eine Versicherung abschließen

Ein nichtiger Anlass

Die Wissenslücke

Die Traumdeutung 1

Die Traumdeutung 2

Den falschen Eindruck erwecken

Flämisch

Einen Streit schlichten

Der Ratgeber und die Problempyramide

Das Füsilierpfeif'

 

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