Hans Joachim Teschner

 

 

Klare Ansagen

Ein Badeunfall

Das Ordnen der Ordnung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Brandstetter

Das zweite Leben

VOL. 4

 

Klare Ansagen

Auf ihre Frage, wie spät es sei, antwortete Dr. Brandstetter mit der genauen Zeitangabe »Noch 10 Minuten bis 17 Uhr.«

»Gut«, sagte die Frau, »dann habe ich noch 10 Minuten Zeit.«

Dr. Brandstetter fiel auf, wie klar das Denken sein kann. 5 Minuten später wiederholte sich das Frage-Antwort-Spiel mit der abschließenden Bemerkung »Gut, dann habe ich noch 5 Minuten Zeit.« Das Gehirn: eine Präzisionsmaschine.

Um zwei Minuten vor 17 Uhr ging Dr. Brandstetter aus dem Haus, und er wird nie erfahren, was sich um 17 Uhr zugetragen hat. Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die starken Elemente eines Dialogs für sich sprechen zu lassen. In diesem Fall die exakten Zeitangaben. Sie sprechen die Sprache der Klarheit, dachte er, und vermitteln das Gefühl von Objektivität. 5 Minuten bis 17 Uhr sind 5 Minuten und nicht etwa 7 Minuten. Fertig. Jacke überwerfen, Tschüs sagen und außer Haus gehen.

»Wann kommst du zurück?« Die Stimme der Frau klang im Flur nach. »Wie immer«, rief er, »präzise 9 Minuten und nicht später.«

Man muss kein Prophet sein, um sich die Zuspitzung dieser Kommunikation vorzustellen.

Sie: «Drei vor 21.«

Er: »Danach 17.«

Sie: »Lieber 16, wegen Jessica.«

Er: »23 geht auch.«

Seit einiger Zeit bereitete es Dr. Brandstetter ein großes Vergnügen, mit der Frau in seinem Haus Gespräche zu führen. Es ist noch nicht lange her, dachte er in einem schnell verblassenden Anflug von Wehmut, da haben wir oft aneinander vorbeigeredet.

»45, dann 56«, rief er in Richtung Schlafzimmer. Er lauschte, vernahm aber weder ein Geräusch noch eine Antwort. Enttäuscht warf er die Jacke über und ging aus dem Haus.


Ein Badeunfall

Dr. Brandstetter lag in der Badewanne und überließ seinem Leib das warme Wasser, den Schaum und den beruhigenden Duft des Badezusatzes. Er musste aufpassen, überlegte er, sonst würde er einschlafen. Sein Körper würde langsam nach unten rutschen, sein Kopf würde in das Wasser eintauchen und unter den Schaumflocken verschwinden. Prustend wieder auftauchen, mit den Armen wild um sich schlagen, ein Schrei nach Hilfe, die Badezimmertür würde aufgestoßen werden, der Rettungsdienst würde den Einsatz nach geglücktem Abschluss in Rechnung stellen, und zurück bliebe der fade Geschmack eines Badeerlebnisses, auf das er gut und gerne hätte verzichten können. Bevor aber, setzte Dr. Brandstetter seine Überlegungen fort, bevor dieser Fall sein fatales Schrecknis aufnimmt, springe ich auf, schüttele mich wie ein nasser Hund und entkomme zwar nicht gerade meinem Generalschicksal, so doch den Unerquicklichkeiten, die das Entspannen in der häuslichen Badewanne bereit hält.

Und so geschah es.

Als Dr. Brandstetter am folgenden Tag seinen Kollegen im Büro akribisch darlegte, wie sein Badeabenteuer doch noch einen glücklichen Ausgang genommen hatte, legte sich Stille über die Schreibstube.


Das Ordnen der Ordnung

An einem Tag wie diesem nahm sich Dr. Brandstetter vor, sein Leben in Ordnung zu bringen. Ordnung, das hieß für ihn Einordnung. Dieses oder jenes durfte nicht einfach so herumliegen. Nein, es gehörte in Schubladen, Regale, Kartons, in Fächer und beschriftete Hefter. Einen kurzen Augenblick verfing er sich in dem Gedanken, ob und wie und wo er seine Gedanken einordnen könne und ob er sich bei diesem Versuch nicht auf ein virtuelles Abenteuer einlassen würde, abgesehen von dem Risiko, dass, sollte er seine Gedanken wirklich in ein System von Ordnern fachgemäß einfügen, diese möglicherweise flüchtig sein könnten, – aber nein, mit solch ausufernden Überlegungen wollte Dr. Brandstetter sich jetzt wirklich nicht weiter belasten. »Gedanken«, sagte er zu der Frau neben ihm, »können exakt kategorisiert und sodann eingeordnet werden, ebenso, wie du gerade die gewaschenen Handtücher in die Regale des Schlafzimmerschranks einfügst.«

Die Frau meinte, er solle lieber auf seinen Hauptgedanken aufpassen, nämlich den Gedanken an seine Gedanken.

Wie ein Stromstoß fuhr dieser Satz in Dr. Brandstetters Hirn. Hauptgedanke! Wohin nur sollte er den Gedanken an all die übrigen Gedanken einpassen? Bliebe nicht jeweils ein weiterer Gedanke zurück, der, den die Frau als Hauptgedanke bezeichnet hatte, der aber wiedergeburtlich stets aufs Neue hinter oder über dem gerade abgelegten sogenannten Hauptgedanken auftauchte, denn der einzuordnende sogenannte Hauptgedanke musste doch wiederum von einem Werkzeug, und das konnte nur ein anderer Gedanke sein, in das Gedankenregal verschoben werden und dieser wiederum daselbst ebenso und der dahinter stehende folglich...

Dr. Brandstetter setzte sich auf den Wäschezuber. »Dann ist die Herstellung von Ordnung letztlich nicht möglich, ja ein vollständig aussichtsloses Bemühen.«

Die Frau deutete auf den Wäschekorb. Eine einzelne Socke lag darin.

 

 


 

Vol. 1          Vol. 2          Vol. 3

 

Lesesaal