Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 46

 


 

Was machen eigentlich die Brandstetters? Schauen wir doch mal vorbei:

 

  Dr. Brandstetter
 










Vier Kerzen

Zum Advent hatte die Frau einen Kranz aus Tannenzweigen gebunden. Dr. Brandstetter oblag es, die vier Kerzen zu besorgen. "Es müssen rote Kerzen sein", sagte die Frau,"und nimm nicht die billigen aus dem Ein-Euro-Laden. Die sind giftig."

"Man könnte den Buben damit beauftragen", erwiderte Dr. Brandstetter, "damit er mal was Ordentliches anstellt."

"Der Bub ist nicht im Haus", sagte die Frau.

"Dann eben die Tochter, die ist alt genug."

"Jessica muss für die Mathe-Prüfung büffeln."

Typisch, dachte Dr. Brandstetter, wenn man mal die Kinder braucht, verfallen sie auf unnütze Ausreden, deren jede durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse. Er warf sich die Windjacke über und verließ missgelaunt das Haus.

Die Straßenlaternen brannten schon, als er zurückkam. Kurz vor Ladenschluss hatte er noch ein halbes Pfund Edamer erstehen können. "Es war nicht ganz unproblematisch", rief er in Richtung Schlafzimmer, in das seine Frau sich zurückgezogen hatte.

"Dann steck' sie schon mal auf den Kranz", rief sie aus gedämpfter Kulisse zurück.

Sie wird immer seltsamer, dachte Dr. Brandstetter. Den Käse legte er in den Kühlschrank, so wie es sich gehört.

 

 

 


 

Eigentlich, dachte Jerry, könnte ich die Abenteuer des Dr. Brandstetter und seiner Familie aufschreiben und sie später als Buch veröffentlichen, umso mehr, als heutzutage niemand mehr etwas anderes lesen will als die belanglosen ewigen Romane, die dem Kleinmut, der Mittelmäßigkeit und der Reaktion verpflichtet sind. Stattdessen: Den Schrifterzeugern und ihren devoten Lesern mal was anderes in die Visage buchstabieren!

Ein famoser Gedanke, aber dann brannte bei Jerry die Phantasie durch (wie so oft) und er klapperte erst mal die Story von der Entweihung des Eintagstanzes in die Tasten seines Laptops.

 

 

 

Die Entweihung des Eintagstanzes

und die daraus folgende

Schadhaftigkeit

 

Dorothea Rubenstößel, die Witwe des Hofsattlers aus der Taubengasse, führte wieder einmal den Veitstanz des Ordinären vor. So bezeichnete Zeremonienmeister Hubert Hunzelpfropf ihr Gezappel und, präzise gesagt, hatte er keine Lust mehr. Keine Lust auf kleidsam vorgetragene Schrittkombinationen der Albernheit noch auf spastische Zuckungen der Gliedmaße, welche stets in einen Staccatowirbel obszöner Verrenkungen ausarteten. Mit der Rubenstößel war er sowieso durch. Sie, deren hakennasiges Raubvogelgesicht durch keinerlei Schminkhavarie zu entschuldigen war, hatte schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen, wobei die Bezeichnung 'Aufmerksamkeit' eine krasse Beschönigung des Aufruhrs war, den ihre Aktionen auslöste. Am Pfingstmontag des Wendejahres hatte sie sogar die Unverfrorenheit besessen, den Eintagstanz zu entweihen. Vielleicht geschah es nur aus Schusseligkeit. Jedenfalls war sie eine Stunde vor dem Anpfiff zum feierlichen Startgemurmel mit flatternden Unterröcken in die Kabinen der Umerziehung gerauscht und hatte zum Fünferschritt aufgerufen. Ausgerechnet zur Schrittfolge des obrigkeitlich verfemten Fünfers!

Der Eintagstanz musste daraufhin aus der Agenda gestrichen werden. Die Aufzeichnungen seiner Schrittfolgen sowie Hüpfhöhe und Ruckelfrequenz wanderten in das Archiv der geschwärzten Bücher. Und niemand außer Hunzelpfropf, der Zeremonienmeister der kaiserlichen Tanzcompagnie, konnte sie von dort je wieder herausprotokollieren. Es wäre auch sinnlos gewesen, denn die geschwärzten Bücher trugen nicht von ungefähr ihren Namen: Alle Seiten eines indizierten Werkes wurden bei der Aufnahme ins Archiv mit Teer übertüncht, sofern sie nicht vorher herausgerissen und dem Feuer des Vergessens übergeben wurden, einem Feuer von der Hitze zehntausendfachen Celsiusgrades, das keine Amöbe der Druckkunst zu überleben vermochte.

So war es eben.

So war es schon dem Rittlingswalzer ergangen, dem Bimbo-Limbo, dem Schnepfen-Krakowiak und dem quadrillierten Twostep. Oder auch dem Kreuztanz, diesem in besonderem Maße. Beim Gedanken an den legendären Schreitgalopp schauderte es Hunzelpfropf. Mit gekreuzten Beinen hatten die Tänzer ihre Fußsohlen über glühende Papyrusrollen schieben müssen. Papyrus aus Kohlefasern der neuesten, der langlebigsten Generation. Alle zwei Sekunden hatten die Tänzer die Beine gegenzukreuzen, und danach wurde ein Trippelgang rückwärts eingelegt. Die Damen hatten zu gorgeln und vierschrötig zu buckeln, während die Herren von lilafarbenen Nacktsklaven mit Palmwedeln aus Stachelschwänzen und Kupferdrahtriemen gepeitscht wurden.

 

Ho, wie sie hyperventilierten!

Keinen Laut durften sie von sich geben.

Keine Miene aufsetzen weder zum Gebet noch zur Klage einer Unwohlbekommenheit.

Ho ho, wie sie innerlich schrumpften.

Nicht einen Finger durften sie krümmen, nicht den Nagel eines Fingers.

Den Bauch nicht einziehen trotz Schmerzkrampf im Pansenrevier.

Weder das Ohrenschmalz herausquetschen noch mit Speichel sabbern.

Die Augen nicht feuchten, die Nase nicht kräuseln.

Ho, wie sie leichenbleichten unter den Fasern ihrer Pergamenthaut.

Nichts war ihnen erlaubt.

Einzig nichts. Nichts und nichts sonst.

 

Keine Tänzerin, kein Tänzer hatte den Parcours überlebt, und da sich fürderhin kein Freiwilliger mehr meldete, wanderte der Kreuztanz ins Archiv der geschwärzten Bücher.

Hubert Hunzelpfropf zog sein Mobiltelefon aus dem Wams und gab den Geheimcode der Tanzcompagnie ein. Niemand nahm ab.

Befriedigt steckte der Zeremonienmeister sein Handtelefon zurück in eine seiner tieferen Wamsfalten. Beim ersten Schlag der Mondenwende würde er sich Dorothea Rubenstößel vornehmen, und niemand würde ihn daran hindern, ihr den grauenhaften Schabentanz aufs Gesäß zu brennen. Darüber würde sie den Veitstanz des Ordinären vergessen, vergessen auf Ewigkeit, denn beim Schabentanz handelte es sich um einen der drei gefürchteten Kreistänze, die nie endeten, bei denen jeder Schritt, jeder Sprung und jede Drehung den Anfangs- wie auch den Endpunkt darstellte, ein immerwährendes Schunkeln, Rollen, Hüpfen, Verneigen, Wälzen, Stelzen, Schlurren, Stieben und Stolzieren, ein Rotieren um die eigene Achse, ein ewigliches Nocheinmal und Immerwieder.

Droben, im Saal der wiegenden Klänge, hinter dessen Fenstern man gekrümmte Schatten vorbeihuschen sah, tanzten die Verdammten schon seit undenklichen Zeiten. Ergraut waren sie, die Haarbüschel wehten wirr um ihre schlaffen Wangen, die Schritte unsicher, wackelnd, und die alten Knochen knirschten bei jeder Verbeugung. Doch es gab kein Pardon, keine Hoffnung auf ein Ende der Musik. 

Dorthin würde Hubert die Rubenstößel verbannen. Das Handbuch zum Veitstanz des Ordinären aber würde geteert, zerrissen und siebenfach verbrannt dem Archiv der geschwärzten Bücher zugeführt werden, dahin, wo schon der von der Rubenstößel propagierte Fünfer gelandet war.

Hubert Hunzelpfropf lachte kurz und mitleidlos auf. Durch das offene Fenster drang der erste Schlag der Mondenwende.

 

 

Unsere Philosophen halten sich nicht zurück:

SCHLOTTERDICK & ZERFRANSKI

 

Schlotterdick: „Wenn moralische Wesen indeterminiert den Konflikt des Irrationalismus explizieren, wie es sich im Veitstanz des Ordinären akkumuliert, rechtfertigen die Baconschen Induktionsapparate, und ich zitiere hier nur David Hume, keineswegs die konzeptionalen Phänomena im Sinne theoretisch angenommener ontologischer Formalisierungschemata zum Wie-Immer und Was-Auch-Noch hin zum Was-Wird, gespiegelt im Wann-Wohin."

Zerfranski: „Wer wollte da widersprechen!“

 

 

Knopf drücken, schlau werden: Quark 47 

 

 

 

zurück nach Biographie    

Gästebuch, Warnungen, AGB, Dementi, Kleingedrucktes, Blog: