Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 44

 


 

 

Jerry hatte die Kurzgeschichte noch gar nicht verfasst. Er hatte lediglich eine Idee notiert, eine vage Anfangssituation. Er stellte sich eine Dürreperiode im einem fernen Land vor, vielleicht dort, wo auch die Huberer vermutet werden. Ein Regenmüller sollte dann lästig werden. Mehr war noch nicht. Alles offen. Gut, eingebunden werden sollte die noch auszuarbeitende Story in sein Loses-Blatt-Brevier mit dem Arbeitstitel:

 

alpenglühen

gurgelnde Epen, germanophone Laute

 

 

Alpenglühen, das war der Titel der ersten Lose-Blatt-Geschichte. Jerry behauptete in einer ihm ansonsten fremden Unbescheidenheit, die Geschichte sei wohlgeraten. Dies hatte er auch Rita geschrieben, welche ihm unverzüglich antwortete, die Wohlgeratenheit sei wohl eher ich seiner Hose zu finden, darauf sie immer scharf gewesen sei. Verdammtes Luder!

Wie konnte es aber geschehen, dass die Philosophen Schlotterdick und Zerfranski bereits eine Kurzrezension in ihrem 'Blog der Elite' veröffentlicht hatten? Woher kannten sie den Inhalt der Geschichte, wenn noch nicht einmal der Urheber selbst auch nur ahnte, wohin die Handlung treiben könnte? Bislang hatte Jerry nur Vermutungen angestellt über einen Regenmüller, der sich aufmachte, der Geißel der Dürre den Garaus zu machen. Okay, er hatte diese Vermutungen ins Internet gestellt, in seinen BlogBlog, aber wer las schon seinen BlogBlog? Die Auswertung seiner BlogBlog-Statistik jedenfalls trieb ihm die Schamröte ins Gesicht: Wenn er seine eigenen Aufrufe abzog, blieb gerademal Fliegenschiss übrig.

 

 

Montag Nacht, aus dem

'Blog der Elite':

SCHLOTTERDICK & ZERFRANSKI

 

Schlotterdick: „In der Welt des antagonistischen principium individuationis wird das Selbst im Gegensatz zum Man mit dem Gestus der Gesamt-Seins-Behaftetheit einer "archaischen" Utopie bestrebt sein, die kathartische Sublimierung auf eine Umgestaltung der Wirkungsabsicht hin zu explorieren, wie sie nicht trefflicher in der rabulierenden Fanatisierung des Regenmüllers destruiert werden kann, einer Tyrannis der Sakrosanz, wie ich in Abwandlung eines Wortes von Alexis de Tocqueville hinzufügen darf."

Zerfranski: „Wer wollte da zweifeln!“

 

 

Als Jerry die Kritik noch einmal durchlas, entdeckte er einen Makel. Die Philosophen erwähnten zwar den Regenmüller, nicht aber das eigentliche Sujet und schon gar nicht die Handlung. Sie hatten, um dem ständigen und nachgerade pathologischen Hermeneutikdruck der Philosopheninnung etwas Dampf abzulassen, Jerrys vorgeblichen Text zusammenphantasiert, nur um ihren Salm loszuwerden.

Na dann, dachte Jerry, dann zieht euch mal dies hier rein:

 

 

 

Sieben Schläge, sieben Sünden

 

Das Jahr der großen Dürre brachte dem Regenmüller den Reichtum, den er sich sein ganzes Leben lang erhofft hatte. Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Leute herbei und baten um seine Hilfe. Finanziell solle es sein Schade nicht sein, so beeilten sie sich, seine Gunst zu erschleichen. Ihre Felder seien trockengefallen, das Gemüse verdorrt, und das Vieh stünde welk im Staub, die bleichen Knochen unter rissiger Haut würden bereits das Lied vom Hungertode klappern. Sogar Nikolai von Humperdinck, der mit der hohen Nase und dem Adelstitel unter dem Borsalino, sogar er ließ anschirren, um bei dem Regenmüller vorstellig zu werden, ausgerechnet beim Regenmüller, dem Unterwürdigsten, den er sich je hätte vorstellen können. Herrisch bremste der Humperdinck die Kutsche vor dem Haus des Regenmüllers ab, Straßensand wirbelte auf, und Steinchen flogen in den Vorgarten. Seine Ländereien, so klagte der Humperdinck vom samtbezogenen Kutschbock herunter, denn er stieg niemals ab ins Volk der Niedriggänger, seine Ländereien könne man schrumpfen sehen vor Auszehrung, so man Augen im Kopfe habe, was er aber hinsichtlich der Beschaffenheit des Kopfinhaltes des umherkrauchenden Untertanengesindels stark bezweifele. Unversehens war Nikolai aus dem Geschlecht derer von Humperdinck wieder einmal in seine hoffärtige Übellaune verfallen, und da schob selbst das Ungemach seiner schrumpfenden Ländereien keinen Balken vor sein Maulwerk.

Wie er also schimpfte und spottete und sich schier in einen Geiferschaum hineinsteigerte und den Niedrigfüßlern ordentlich was auf das Gemüt brannte mit seinen Boshaftigkeiten, da verlor sogar der Regenmüller seine Beherrschung. Ob er, giftete er tückisch zurück, ob er, nämlich der von und zu Scheißhaufen von Humperdinck mal seine Gusch halten könne, aus der nichts Nobleres als Jauchegestank und Ekelschleim hervorkröchen, ob er, der Heimbewohner von Sankt Dickdarm, ob er, der Nichtsnutz aus dem Inzest einer Adelsfäulnis, oder besser noch, berichtigte sich der schon arg alterierte Regenmüller, oder besser noch: das Nichtsnutz von Adelsfäule, man beachte höflichst den Unterschied, nämlich nicht DER Nichtsnutz, sondern DAS Nichtsnutz…

Hier wurde der in hitziger Wut aufbrausende Regenmüller von seinem Sohn Borislaw unterbrochen und abgehalten von weit erklecklicheren Sottisen, zu denen der Regenmüller durchaus fähig und willens war, man denke nur an die bedeutsame Streitwoche im Gasthaus Zur Henne, bei der der Prior Dominikus aus dem Schweigekloster vom Huberertal abwegig unterlag und dies vor dem Herrn zugeben musste, wenn auch in aller Stille nächtens aus Anlass einer Privatbeichte im Seitenschiff der Klosterkapelle, wo Beichtvater Pastorius Gotthelfe Knustfurzer vor Neid erblasste, dies aber nicht zugeben wollte und es auch keiner gemerkt haben mochte, wäre nicht in diesem Augenblick die Betlampe im dunklen Stuhl aufgeflackert, noch Schlimmeres verhütend.

Normalerweise hielt sich der Sohn des Regenmüllers zurück. Normalerweise döste Borislaw eingekuschelt in seinem Käfig, droben an der Hausmauer in lichter Höhe. Jetzt und hier aber war es aus mit Eiapopeia. Drohend richtete sich das Babymonster Borislaw auf. Seinen Steiß reckte es wirkmächtig gegen die Gitterstäbe, die sich bogen. In der Ferne sah man Rauchwolken erblühen. Die vielspurige Gletscherbahn rumorte vom Huberertal aufsteigend zum Watzberg hin, qualmend kippte sie aus dem Gleis. Alles schien sich zu drehen. Und das nur, weil Borislaw einen bösen Fluch auf seinen Vater geschleudert hatte, so böse, so abgefeimt, dass das geschriebene Wort versagt vor der Wucht der Niedertracht, dass höchstens und bedauerlicherweise irgendwann die Ahnen davon berichten werden mögen, nur ansatzweise, unter Vorbehalt des Wahrheitsgehaltes.

Der Fluch ließ auch den Humperdinck auf seinem Kutschbock zusammenzucken. Hatte der Satan seine Klauen im Spiel? War er die tiefe Ursache für die Dürre? Legte er die infame Schmähung auf die Zunge des renitenten Regenmüllers? Hatte er dem Babymonster den Fluch ins kranke Hirn geschraubt? Wie waren die Zeichen zu deuten? Musste man dem Leibhaftigen einen Obulus entrichten, gar ein Menschenopfer wie in alter Zeit?

Unsanft wurde der Humperdinck aus seinen Überlegungen gerissen. Die beiden Pferde gingen durch. Sie bäumten sich schnaubend auf, wieherten die Fanfare der Revolution, da steilte schon die Deichsel empor, splitterte, und mit losen Zügeln preschten die Pferde durch das Tor, wobei ein Rad gegen die Mauer stieß, sich quer stellte und schließlich abbrach, um mit ein paar eiernden Umdrehungen im Trockenbeet der Kräuterfrau Gundula Großfetzen zu landen. Das hatte er nun davon, der Nikolai von Humperdinck. Wäre er doch lieber in seiner Kemenate geblieben und hätte an seinem Choralvorspiel weitergetüftelt, ein Werklein zu Ehren der Schwarzen Zofe vom Huberertal, derjenigen, die dem fernen Grafen von Monte Malo sieben Geißlein hatte schenken sollen, es aber nicht zuwege gebracht hatte aus Hochverratsgründen. Auf dem Schafott noch hatte sie Geifer gesprüht, hatte dem Henkersmann Aloysius Schnitzendrecker auf die braune Kutte gerotzt und dem Grafen von Monte Malo einen Fernfluch in die Bettlaken geschleudert. Nie mehr sollte er geruhsam die Henkersprotokolle lesen können als Einschlafhilfe und Ehevollzugsersatz. Nur noch schnaufen und in die Laken sabbern. Dies und vieles mehr sollte in des Humperdincks Choralspiel zur harmoniekonformen Sprache kommen und glorios aufgeführt werden im Jahr der Ziege.

Während der Humperdinck von den führerlosen Pferden gerade über den Strohschober des Landbestellers Pfefferkorn mehr geschleudert als gezogen wurde, mahnte die Kirchturmuhr zur Mette.

Sieben Schläge, sieben Sünden.

Und der Regenmüller krempelte seine Stulpen über die Knöchel und hastete zur Kirchplatz. Dort würde er die Knute kreisen lassen. Dort würde den sieben Sünden eine Abfuhr erteilt werden. Denn der Regen würde fallen in siebenfacher Ausführung und hinwegschwemmen die Last der Plagen.

 

 

 

 


 

 

 

 

                                                 

                          Eins am Ohr                Zwei um den Hals                  Drei im Sinn                         Fertig

 

 

 

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