Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 31

 


 

 

Alpenglühen

 

Heidi hatte ein Alpenröschen gepflückt, droben auf dem Watzberg. Es roch nach Schuhwichs, und dieser Geruch war es, der sie in ihre glückliche Kindheit versetzte, wo die Mutter noch Rüben einkochte und den Saft des Erdferkels zu süßer Marmelade verarbeitete. Während Heidi noch am Röschen schnupperte hatte Onkel Berthold seine Repetierbüchse geschultert, um das bärwütige Rind zu schießen, das draußen in der Einöd schadhaft weidete, den mühsam gedüngten Steinbruch abgraste und somit das Existenzminimum des Lohnsklaven Jarislaw und seines grinden Maibocks beeinträchtigte.

Den Hut mit dem Edelweiß am Bande setzte sich der Onkel auf als Tarnung und des Geruchs wegen, welcher das bärwütige Rind verwirren sollte, es ins Verderben locken, vor die Flinte mit dem gezogenen Lauf, ein Prachtstück der Büchsenmacherkunst, ganz und gar unikatisch, wie der Onkel immer wieder und so auch jetzt zu versichern wusste und gar kein Ende finden wollte.

„Nun aber rasch den Bach queren“, rief die Mutter ungeduldig und des Lobhudelns überdrüssig. Sie rief vom Fenster aus, dem südseitigen mit den von Bauernmalerei befleckten Zargen „So mach er sich doch auf, der feine Jäger, bevor die Schubiake Einzug halten und die Wassermühle lahm legen.“

Seit Jahrhundertgedenken nämlich fielen am 12. Juni die Schubiake ein, von denen niemand im Tal ahnte, dass es ihre eigenen Vorfahren waren, verschleppt, verschandelt, vergessen. Ein Volk ohne Vergangenheit.

Dessen Anführer, Dipl.-Ing. Dr. Wosniak, hatte sich dem grinden Maibock ergeben, war ihm willenlos verfallen auf ewig. Deshalb der jährliche Überfall auf den Huberer-Klan. Deshalb das Lahmlegen der Wassermühle. Ein Ablenkungsmanöver, um den Lohnsklaven Jarislaw auf die reparaturanfällige Kalamität aufmerksam zu machen, darüber er seinen Maibock aus den Augen verliere.

Zum Zweiten: Unterscharführer Robiniak, der alte Hauzahn, hatte durchblicken lassen, dass auch er gern dem Maibock seine Aufwartung machen würde, der Grind würd' ihn nicht stören. Aber da hatte er nicht mit Krawussniak gerechnet, dem Pedell, der ihm den Zutritt zum geseiften Thron des Kaiserbocks verweigerte mit der Unsinnigkeit, die Huberer Elise sei an G’schwindsucht gen Firmament g‘pfiffen.

Inzwischen hatte Heidi das Röschen in ihren Schultersack gestopft (und dabei tüchtig verknittert) neben dem Käseschmarren, dem Bierfläschlein und dem smarten Phon, das unablässig die Melodie vom dritten Mann plinkerte.

 

 

Da wollte jemand angehört sein.

Da wollte sich eine Nachricht auftun.

Da wollte der Knopf bedient werden, der den Empfang öffnete für Worte, wispernd aus dem Winziglautsprecher.

Josepha, ihre Schwester aus Amerika, hing am Draht. „Hallo Huberer Heidi“, sprach Josepha, und das Hallo klang wie Hello.

„Hello“, antwortete Heidi entbehrungsreich.

Den Diplomingenieur wollte die Schwester sprechen, denn sie war mit dem Schubiak verludert, seit die Pubertät im Huberertal ihr Unwesen trieb.

„Der Wosniak treibt‘s nunmehr mit dem Maibock, der geiltriefende.“

„Ach, welch garstig Schwamm muss ich nun führen“, seufzte die Josepha verworren, „dann muss ich wohl mit dem Kennedy Jamie ehebrechen, ein Kreuz halt ist‘s.“

Davon wollte die Heidi nichts hören. Sie war ja noch unbedarft.

„Aber zur Hochzeit kommst, gell“, frug die Schwester aus New York, „du, den Honigmond musst kennenlern‘ droben in Las Vegas. Dort klimpert's unaufhörlich.“

Der Winziglautsprecher knackte. Ein Gewitter zog auf. Der Watzberg würde zerdonnert und weggefusselt, wenn die Heidi sich nicht sputen würde.

Ein halbes Jahr verfloss im Huberer-Tal. Die Schubiake waren im Eilgepäck abgezogen, nachdem sie die Wassermühle mit Bleisand und Leerkartuschen lahm gelegt hatten. Dem grinden Maibock hatten sie dennoch nicht – wie schon in den Jahren davor – den Schneid abkaufen können geschweige denn eine Liebschaft andienen. Nun hieß es für die sorglich in der Sakristei versteckten Huberer, die Ärmel zu krempeln und das  Gotteshäusl zu verlassen, um die Schadhaftigkeit zu reparieren.

Zu diesem Zeitpunkt war Heidi schon in Las Vegas gelandet und hatte das Röslein, den  Käseschmarren, das Bierfläschlein und sogar das smarte Phon verklimpert. Nur der Honigmond war ihr geblieben, ein zotteliges Fordfahrzeug mit einem Geweih auf dem Kühlerblech.

Ach, wie die Huberer Heidi ihr Huberertal mit dem Huberer-Klan vermisste. Josepha konnte sie nicht trostspenden. Umgedreht auch nicht.

 

Den letzten Satz strich Jerry aus dem Manuskript, denn er schien ihm unlogisch, bar jeder Vernunft.

 Umgedreht auch nicht.

Josepha also konnte sie nicht trostspenden (Das ‚also‘ gehörte freilich auch nicht in den Text, da hatte der Jerry nicht aufgepasst).

Darüber verlor Jerry den Faden. Der Einwurf mit dem falsch gesetzten ‚also‘ hatte ihn aus dem Ruder geworfen. Was würde nun aus Heidi und ihrer Schwester werden? Würde der Huberer-Klan einen Rachefeldzug ins Schubiakenland planen und dabei vielerlei Abenteuer auf ihr Konto verbuchen?

Drüben, im wilden Schubiakien, hockte derweil Dipl.-Ing. Dr. Wosniak vor seinem Laptop. Nach der Huberer Josepha war er hinterher zu googeln (er suchte sie mit der Suchmaschine Google, ihr Dämlacken vom Watzberg!). Reumütig wollte er ihr seine Reumütigkeit auf das Tablett servieren, wollte den Fauxpas mit dem grinden Maibock wieder ins rechte Lot hängen, um sein Versprechen in die Wahrheit umzumünzen, nämlich der Josepha einen hieb- und stichfesten Ehevertrag in den Busenausschnitt stecken, wie es der alteingesessene schubiakische Brauch wollte, von dem man munkelte, er sei für vieles zu haben, nur nicht zum geschäftlichen Austausch verbindlicher AGBs.

Aber darüber ließe sich streiten, murmelte Wosniak, der Dipl.-Ing. mit dem Dr.. Murmelte es anschwellend erzürnt, nachdem er über den Daumen gerechnet schon mehr als 240 Mal das Suchwort Josepha-Clementine-Aurelia-Zarzisia-Walburga eingegeben hatte, den vollständigen Namen seiner ihm verluderten Angebeteten. Ohne Erfolg. In seiner Verzweiflung tippte er den Begriff Huberer ein. Und was soll man sagen! Vieltausendfach schüttete der Google-Apparat Treffer über Treffer aus.

Nur die Josepha, die ist nicht dabei, grummelte Jerry. Er griff zum Handy und rief Diedel an. Diedel war in der Kneipe. Sagte seine Frau mit nicht misszuverstehender Kurzangebundenheit. Jerry rief die Kneipe an. Reinhard der Wirt meldete sich. „Wie immer?“ frug er. „Wie immer“, rief Jerry. Er warf seine Lederjacke über und machte sich auf den Weg.

 

 

 

 

Dazu der Kommentar unserer beiden Philosophen

 

SCHLOTTERDICK & ZERFRANSKI

 

Schlotterdick: „Hinter der Folie der prozessualen Schubiakenproblematik berührt die Erscheinungshaftigkeit des Daseins inmitten eines weltwissenden Bewusstseins den Schnittpunkt zum naturhaft Rauschenden, auch Ratsuchenden, oder, wie Karl Jaspers in seiner Schrift Die Atombombe und die Zukunft des Menschen sagt: Nur die Chiffren des Scheiterns im realen Raum genießen das Endliche wie das Leere des Nichts im Unvorstellbaren.“

Zerfranski: „Das gibt zu denken!“

 

 

Anhang

Bei einigen Begriffen des vorgestellten Textes über das Huberer-Drama dürfte der anspruchsvolle Leser zusätzliche Bestimmungen (Attribute, Ergänzungen) vermissen, die ihm für eine niveaureiche literarische Ausstattung notwendig erscheinen. Seinem Anspruch auf kunstfertige Formulierungen soll hier keineswegs der Riegel des Ausdrucksmangels und sprachlichen Unvermögens vorgeschoben werden. Möglicherweise hat der Autor dieses schlechte Beispiel aus Zeitnot zusammengeschustert. Als Wiedergutmachung für den kargen und nachgerade kunstlosen Haudraufstil folgen hier einige patente Ausschmückungen aus dem Fundus der Hochliteratur, zum vergnüglichen Selbereinsetzen und Aufwerten:

 

Alpenröschen: zart, duftig

Watzberg: dräuend, unwegsam, schroff ansteigend

Geruch: stechend, intensiv, modrig

Mutter: gut, herzensgut, aufopfernd

Onkel: knorrig, backenbärtig, etwas verschroben, vom alten Schrot und Korn

Hut: Rauhaarfilzhut mit Quasten

Bach: reißend, sprudelnd, plätschernd, murmelnd

Wassermühle: ächzend, gluckernd, klappernd

Tal: tief, dunkel, ewig beschattet

Anführer: grausam, herrisch, charismatisch

Pedell: gefürchtet, streng, unnachgiebig

Knopf: blau (alle Farben möglich)

Melodie: anheimelnd, süß, sphärisch

Amerika: fern, Land der unbegrenzten Möglichkeiten

New York: Schmelztiegel

Honigmond: falsche Übersetzung von Honeymoon, so geht’s wirklich nicht

Las Vegas: Spielerparadies

Faden verlieren: den roten…

Konto: überzogenes Girokonto

Wahrheit: nackt

Verzweiflung: tief

Kneipe: verräuchert (alt), fesches Bistro (auch alt)

Lederjacke: speckig

Weg: beschwerlich

 

 

 

 

 

 

Gesichter eines Lebens

              

Jerry McTeshy                                    Jerry McTeshy                                     Jerry McTeshy                                     Jerry McTeshy

 

 

 

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