Hans Joachim Teschners

 

Lebens-Quark 14

 

                          


 

 

Von den vielen Bands, in denen ich das rituelle Gehabe und Gestanze eines Sologitarristen, Keyborders, Drummers, Saxophonisten und sogar Sängers durchaus und sogar zur Entgeisterung des gelauchten Publikums vollzog, soll die eine oder andere vorgestellt werden. Nicht aus Beweihräucherung noch Auratisierung der von der Revolverjournaille (Spiegel, Stern) als rock & roll & drugs & sex heroes Glorifizierten, sondern um den besagten Ritus zur Herbeiführung sittenferner Kohabitationen mit sog. Groupies zu dekuvrieren (siehe auch das Kapitel ‚Riten der Balz‘ aus ‚Park der Primaten – Aufzucht, Selektion, Rassemerkmale‘, P. Sloterdijk, Edition Germania). Diese spezies (groupies & fans) zeichnet sich idealtypisch dadurch aus, dass ihr das mühsam implantierte Mikrobiotop aus hirn & kontinenz & bildung & manieren von den Phonstärken der 100 Watt Marshalltürme (früher) oder den Gigawatt-PA-Anlagen (heute) widerstandslos weggeblasen wird, im Einvernehmen mit den Zuchtregeln und Dressurzielen ihrer peergroup (Kreischen, Indiehöschenpinkeln, Rudelhysterie, retrograde Reifung). Wie man hört, wird die Enkelgeneration derer von groupies & fans um nichts weniger auf diesen letztbegründeten Lebenszweck abgerichtet. Nur, dass die Omas & Opas mitfahren zu den Pippi- & Kreischorgien in den Hyperstadien der Poopstars, nicht um ihre Feinripp-& Angoraunterwäsche lustgeifernd auf die Bühne zu schmeißen, sondern als effizient eingespannte Nutzverwandte resp. Taxi-Kamele, die auch schon mal eine Baseballkappe verkehrt herum auf ihre Glatze tackern, vielleicht, um den juvenilen Furor und Endzeitterror der ‚kiddies‘ abzupuffern, der über sie hereinbricht, wenn sie die Quietschblagen nach dem ‚Konzert‘ nicht umgehend zum Hotel der sich selbst als Pop-Ikonen missverstehenden Akneproduzenten kutschieren.

 


 

Noch heute aber gilt das eherne Gesetz: Je milchbubiger und windelnäher sich die Boygroup präsentiert, desto mehr Potential an Anhimmelung verspricht sich ihre major company, was nurmehr heißt: mehr Profit. Den Prototyp an entkernten Physiognomien konnte man schon um 1965 bewundern, Reinkarnationen der Leere resp. Materialisierungen des Nichts (Heidegger) tauchten triebenthemmt Jahr für Jahr in den Gazetten auf. Das Abbild rechts zeigt ein frühes Beispiel (1970) grausamster Ausdrucksverdampfung zum Zwecke des Geldeintreibens. Wir anderen, die vor Schweiß stinkenden Beatmusiker in den versifften Übungskellern, nannten sowas einen „Arsch mit Ohren“. Leider sind deutschsprachige Komplimente nicht mehr en vogue.



 Reinkarnation, Entleerung

 


 

Der Vergleich zu noch früheren als frühen Popkünstlern bringt hervor, dass es eine Zeit gab, in der selbst gestandene glatzköpfige Biedermänner es verstanden, nicht mit Grimassieren, Herumhopsen oder gangsta-Geplärre zu überzeugen, sondern durch das virtuose Saitenreißen an fragilen Instrumenten.

Der irische Folkrockbarde Turlough O’Carolan mag uns dafür als leuchtendes Beispiel dienen (s. Abb. links).

 

 


 

Soweit zurück gehen meine Banderfahrungen freilich nicht. Wir schreiben das Jahr um die1965 rum, und da waren 100 Watt Marshalltürme (Marshall-Stacks, auch Full Stacks genannt) noch unbekannt. Stattdessen bevorzugte man – neben deutschtümelnden Dynachord- und Echoletteanlagen – die legendären Vox AC 30-Kofferverstärker mit 30 Watt, die statt randalierender Lautstärke einen warmen Ton aussandten. Indes, die Inbetriebnahme des Geräts geriet jedesmal zur Mutprobe. Hierzu musste man einen Kippregler auf der Rückseite des Verstärkers umstellen, worauf man einen Stromschlag bekam, denn die ganze elektrische Angelegenheit war nicht geerdet. Den Schlag hatte man fatalistisch hinzunehmen. Den Kippschalter mit einem trockenen Stück Holz umzuklappen, galt als memmenhaft.

 Zum tieferen Verständnis seiner Wesensart wartete der Vox mit einer weiteren inkommodierenden Macke auf: Unmittelbar nach dem ersten Anschalten + Stromschlag verstaubten die Potis (Potentiometer) und verursachten kratzende als auch krachende Geräusche, je nach Unberechenbarkeit. Der gewitzte Gitarrist führte immer ein Sprühdöschen mit Schmiermittel bei sich, mit dem die Potis weltgewandt eingesprüht wurden, worauf sich der widerborstige Staub mit der galanten Schmiere vereinte und auf der höheren Ebene dieses dialektisch respektablen Verfahrens (Hegel) das potentiometrische Gesamtwerk vollends ruinierte.

Da half nur ein forscher Hieb mit der Faust auf den Rumpelkoffer, worauf die Hallspirale aus ihren Angeln sprang und ein wirres Scheppern dem Kratzkrachen hinzufügte unter Beimischung diverser Jaultöne, die allerdings der Gitarrist & Faustkämpfer zu verantworten hatte; die Schuld an der Kakophonie alleinig den Konstrukteuren des Fuchs AC 30 zuzuschieben, träfe nicht den Punkt.

Besagte Jaultöne übrigens wurden hervorgerufen, indem man die Saiten der Gitarre mit dem Finger so weit wie möglich quer zum Griffbrett verschob. Heute sagt man bending dazu. Der Effekt gelang allerdings nur auf und mit sehr dünnen Saiten, was wir im Dorf nicht wussten. Die aus dubiosen Quellen bezogene Fachvorschrift besagte lediglich, dass man die Saiten kräftig wegdrücken musste, dann jaulte es. Meistens liefen Diedel und ich (die beiden Gitarrenfreaks im Dorf) mit verbundenen Fingern herum, da die dicken, harten Saiten beim Wegdrücken in die Kuppe schnitten. Blut, Schweiß und Tränen eben.

Gut, man munkelte von unentbehrlichen Zusatztipps. Einige davon verirrten sich sogar in unsere verschimmelte Übungsbude. Man müsse dünnere Saiten nehmen als die vom Werk aufgezogenen! Dass man die Saiten wechseln durfte, war ebenfalls neu. Und dann das: Es existierten gar keine dünneren Gitarrensaiten, nicht mal in unserem Equipment-Ausrüster Radio Bokelmann. Man müsse auf Banjosaiten umsteigen, so die Flüsterpropaganda weiter, und zwar auf die langen mit der Kugel am Ende.

 


 

Das brachte es! Nach der Umrüstung gab es kein Halten mehr und der Jauleffekt wurde bei jedem Stück untergebracht, ob Beguine, Walzer oder Beatsong.

Warum überhaupt dieses Jaulen?

Weil wir dachten, das seien die geheimnisumwobenen Blue-Notes, die den Blues erst so richtig blue machten und überhaupt Grundbedingung ‚ehrlicher‘ Musik. Kenntnisse über den Blues waren absolutes Insiderwissen, und wir (Diedel und ich) aus dem Dorf die Speerspitze der deutschen Bluesbewegung. Zu verdanken hatten wir diese Vormachtstellung einem geschäftigen Herrn und Ritchie Valens-Double, der mit zwei Grundig Spulentonbandgeräten herumhantierte. Mit dem einen nahm er samt und sonders alle Radioprogramme auf, die Beatmusik o.ä. versprachen, vorwiegend von holländischen Sendern. Ausgesucht exquisite und rare Titel wurden danach auf das andere Tonbandgerät übertragen. Und wir Dorfgitarristen durften manchmal die seltenen Aufnahmen, die in Restdeutschland unbekannt waren, auf unser billiges Uher kopieren. Zum ersten Mal und als erste hierzulande hörten wir John Mayall & the Bluesbreakers, vernahmen ein fremartiges Jaulen, die der Sologitarrist (Eric Clapton) auf der Gibson erzeugte und ahmten es nach, so gut es die von Radio Bokelmann erstandene gebrauchte Framus überhaupt zuließ. Dass beim Blues nicht jeder beliebige Ton verjault werden musste: Woher sollten wir das wissen?

Beim Nachspielen der Titel beschlich uns allerdings das ungute Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmte mit dem Blues. Und die Zuhörer unserer Kunst waren auch keine Hilfe: „Wieso spielst du alles so chinesisch?“

Banausen, Perlen vor die Säue.

Die zum Blues gehörigen Akkorde zu spielen, versetzte uns in schwere Gewissensnöte: Durften wir die im Musikunterricht drohend vorgetragenen ehernen Gesetze der Harmonielehre brechen? Der kleine Septimenakkord besetzte unverrückbar den Platz als Dominantsept-Akkord, fünfte Stufe, sich auflösend in die erste Stufe, der Tonika, einem klaren Dur- oder Mollakkord ohne Schnipsel, Zubehör und Septime. Alles andere galt nicht als statthaft. Hatten wir aber beim Heraushören von ‚Dust My Blues‘ nicht schon auf der ersten Stufe einen Dominantseptakkord vernommen? Überhaupt schien die Dominantisierung aller Harmonien zum Stilprinzip zu gehören, oder was? Oder doch nicht? Wir gingen da lieber kein Risiko ein und entschieden uns für die gesetzeskonformen Akkorde. Klang wie Schlagermusik, bestenfalls wie der Foxtrott aus der Tanzschule.

Hinzu kam der Text. Des Englischen nur aus der verhassten Schule mächtig, also so gut wie gar nicht, radebrechten wir irgendwelche Laute zusammen, die dem Song endgültig den Rest gaben. Der Mix aus kratzkrachenden scheppernden Lautsprechern, Fausthieben, chinesisch jaulenden Tönen, kehlig gurgelnden Textfagmenten und kitschigen Schlagerharmonien entleibte jedweden Song.

Zu einer Bandbeschreibung hat’s noch immer nicht gereicht. Ein ander Quark wird’s schon richten.

 

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